Tannenfuhr

Die Tannenfuhr

Im Jahre 1933 wurde die Hirsmontagstradition in Wattenwil neu belebt. Der nächste solche Anlass fand nach dem zweiten Weltkrieg im Jahre 1950 statt. Seit 1958 hat sich ein Turnus von zehn Jahren eingebürgert. Zehn Jahre sind eine lange Zeit! Umso mehr wird der Brauch an besagtem Hirsmontag gründlich, begeistert und schon am frühen Vormittag gefeiert.

Die Burgergemeinde spendet ihren ledigen Burschen im heiratsfähigen Alter die grösste und schönste Tanne aus dem Burgerwald. Eigenhändig müssen sie diese fällen und entasten. Viel Erfahrung und Geschicklichkeit braucht es, den vier bis fünf Tonnen schweren Stamm an den Weg zu ziehen, wo er mittels Kran auf den Lastwagen gehoben wird. Nahe beim gefällten Baumstrunk wird eine Gedenktafel aufgestellt und ein Jungbaum gepflanzt, damit auch kommende Generationen diesen Brauch weiterführen können. Zwei Tage vor dem Hirsmontag wird die Tanne im Dorf versteigert. Meist übersteigt der Verkaufspreis deutlich den effektiven Holzpreis. Dies ist – ähnlich einem Göttibatzen – ein Zustupf in die Festkasse. Mit dem Erlös decken die ledigen Burschen die Unkosten der Fuhr mit anschliessendem Nachtessen und Tanzabend. Zum Brauch gehört, dass die Burschen mit dem Gewinn am Abend die Mädchen zum Tanz einladen.

Tannenspruch 1978

I bi us guetem Burgerholz, e brave Stamm, ke chrumme Bäse, drum het me, uf das bin i stolz, zur Ehretanne, mi usegläse. So lat me nach Wattewylerart Mi schön bekränzt dür d Dörfer ryte, u fyret uf mir letschte Fahrt Hirschmäntig wie i alte Zyte.

Mir junge Lydige u Alte vo Wattewyl wei es Fescht halte, Mir überchöme ke Forschthuufe, derfür die Tanne zum Versuufe. Prosit uf d Mettlen, Dorf u Rain, Es Hoch uf üsi Burgergmeind.

Tannenspruch 1988

Uf di Olympische Winterspiel folgt Tannefuehr vo Wattewil.
a Goldmedallie hei mer keini doch a grossi Tanne u das isch nid weni.

Kämpft het si o üsi Tanne. Ärdrütsch, Wind u Wätter het si überstande.
Mir ledige Manne vo Wattewil näme üsi Tanne als Byspiel.

Viel Chraft u Stolz isch üs gläge, drum lö mir’s nid underwäge.
Mir Dorfer, Mettler u Grundbächler Manne wei se ehre üsi Hirsmäntigs-Tanne.

Tannenspruch 1998

Isch die Tanne nid ä Pracht? Aus wär si grad für dä Hirsmäntig gmacht. Dä schön Stamm het nid so schnäu chönne entstah, das gseht me sine viune Jahrringe ah. Mengs Jahr isch die Tanne im schöne Burgerwald gstande. Wius ä grossi Lücke het gäh, wo si isch gsi, pflanze mir wider äs jungs Tanndli. U wär weiss viellicht cha o Äs einisch Hirsmäntigs-Tanne si.

Tannenspruch 2008

So, o dises Mau heimers wider la rattere u a schöni Tanne chönne ergattere. Di schönschti isch es, wo im Burgerwaud isch gstanne. Lueget liebi Lüt üsi Hirsmäntigstanne! Lang het si bruucht um a so uszgseh, bi Wind u Räge u vilem Schnee. Aber nume ke Angscht, dert wo die Tanne isch gsi, pflanze mir natürlich wider es jungs Tanndli i. Wär weis, vilicht wird o Äs eis usgsuecht aus Hirsmäntigstanne, zum Bruuchtum vo de ledige Wattewiler-Manne.

Der Umzug

Der Hirsmontag wird bereits um 05.00 Uhr mit Glocken, Treicheln und Feuerwerk eingeläutet. Der Lärm soll schon früh am Morgen, vor dem ersten Licht, alle bösen Geister vertreiben und die Bewohner von Wattenwil wecken, damit jedem Zuschauer Russ auf die Wangen geschmiert oder Sägemehl unters Hemd gestopft werden kann. Die ledigen Burger und seit 1978 auch die ledigen Ausburger von Wattenwil schlüpfen dabei in traditionsreiche Verkleidungen. Gegen 08.00 Uhr formatiert sich die lustige Gesellschaft schliesslich zum traditionellen Umzug in die umliegenden Dörfer. Wichtigstes Requisit ist natürlich die Hirsmontagstanne, die von Pferden oder einem Traktor, schön geschmückt, gezogen wird. Auf ihm sitzen Musikanten, die sich auch bei gefährlichen Wendemanövern im Spiel nicht stören lassen. Auch unser bekannter Chrüschchueche darf dabei nicht fehlen. Meist wird er am Ende der Tanne festgemacht. Früher waren viele hoch zu Ross dabei. Heute hat es noch zwei-drei Pferdegespanne, die die Hirsmontagstanne begleiten. Das Organisationskomitee, die Musiker und die „Hartnäckige“ (die älteren Herren, die zum wiederholten Male dabei sind) haben meist die Ehre, von echter Pferdestärke gezogen zu werden. Gegen sechs Uhr Abends ist der Umzug wieder zurück in Wattenwil. Ob wohl der Eine oder Andere im Nachbardorf ein hübsches Meitschi erblickt hat? Dann hat er es bestimmt gleich zum Tanzabend eingeladen, der in Wattenwil stattfindet und den Abschluss dieses lustigen Treibens bildet. Zahlen sollen offenbar belegen, dass dieses Werben unserer Ledigen Früchte trägt und im darauffolgenden Jahr jeweils besonders viele Hochzeiten stattfinden. Aber vermutlich schieben viele ihre Heirat noch etwas heraus, damit sie einmal aktiv an der Hirsmontagsgesellschaft teilnehmen können.

Die Figuren

Hauptperson ist immer noch der „Pfarrer“. Ihm wird auch vom Anführer in Montur und mit Trompete Respekt gezollt. Wenn der Zug hält, steigt der „Pfarrer“ auf den Stamm und verliest den Hirsmontagsbrief. Peinliche Geschichten, die sich im Dorf zugetragen haben, werden schonungslos ans Licht gezogen. Allerdings begnügt sich der „Pfarrer“ mit Anspielungen und dorfintern üblichen Zunamen der Betroffenen, so dass auswärtige Besucher „verständnislos“ bleiben.
Schon vor über hundert Jahren durfte bei närrischem Treiben im Kanton Bern der zottige Bär nicht fehlen. Viele vermummte Gestalten schwärmen überall umher, es sind immer und auch anderswo dieselben: Der über und über mit Hobelspäne besäter “Hobelspähndler”, das “Mieschmanndli”, das “Tannemanndli”, der Bäcker, das “Jasschartemanndli” oder “Spilchärtler”, das Brautpaar, Vagabunden, HD Läppli, „Blätzlimaa“, Helvetia, das „Söiplaateremanndli“, das sich mit Schweinsblasen Respekt verschafft, Jungesellen in Frack und Zylinder, das “Hingerefür-Froueli”, dessen Gesicht rückwärts blickt, der “Huttemaa”, den eine alte, bucklige Frau in einer Hutte zu tragen scheint, Feuerwehrmänner, die mit einer alten Feuerwehrspritze Zuschauer bespritzen, der “Schyterschäri”, einem schwer zu beschreibenden scherenartigen Gerät, das schnell hervorschiesst und in verschiedene Waden kneift, der Wunderdoktor, der schauerliche Operationen durchführt und die Hure. Häufig tritt auch ein Teufel als Gegenfigur zum Pfarrer auf. Auch Die Kaminfeger und Bäcker, welche mit Wonne die Gesichter überraschter Zuschauer verschmieren beziehungsweise pudern gehören dazu. Der Phantasie sind und waren niemals Grenzen gesetzt, wobei man stets versucht die traditionellen Figuren zu erhalten, die auf das 18. Jahrhundert zurückzuführen sind.
Besonders interessant ist die andernorts früher zentrale Figur des „Reifenschwingers“. Bei den üblichen Unterbrüchen des Umzuges steigt der Reifenschwinger auf ein von Tänzern umgebenes Podest. Dann nimmt er ein gefülltes Weinglas, stellt es auf den Innenboden (Felge) des Reifes und beginnt ihn in grossen Kreissen zu schwingen, in 8-er-Form, zuletzt zwischen den Beinen hindurch und hoch über seinen Kopf. Dazu fasst er den Zuschauer, den er ehren will, fest ins Auge. Ist er sich darüber klar, sagt er seinen Spruch und nimmt nach dem dritten „Hoch“ einen Schluck auf den auserwählten Zuschauer hin. „Ich habe die Ehre und nehme die Freiheit und trinke auf die Gesundheit des soundso. Er lebe hoch!“ Die Tänzer: „Er lebe hoch“! Der Reifenschwinger: „Zum zweiten Mal: Hoch!“ Die Tänzer: „Hoch!“; Der Reifenschwinger: „Zum dritten Mal: Hoch!“ Die Tänzer: „Hoch!“. Und die Musik spielt einen Tusch auf den Spender, der sich durch den Zutrunk etwas kosten lässt! Dass dafür vor allem einheimische Prominenz und vor allem keine „Batzenklemmer“ in Frage kommen, versteht sich von selbst.